Erfahrungsberichte

Von Ingrid Elster, 65 Jahre

Im Alter von 10 Monaten erkrankte ich an Kinderlähmung, obwohl ich schon 2 von 3 Impfungen erhalten hatte. Die Krankheit verlief zunächst wie eine Grippe. Lähmungen an Beinen und Unterkörper traten erst nach einiger Zeit auf.

Zurück blieben nach 2 Jahren Regenerationszeit eine Lähmung des rechten Unterschenkels verbunden mit einer Beinlängen-Verkürzung von 6 cm. So war es zum Gehen notwendig eine Schiene zu tragen.

Erste Anzeichen für eine PPS-Problematik ergab sich aus Problemen mit einer Lachgasnarkose. Es dauerte sehr lange bis ich wieder aus ihr aufgewacht bin. Medikamente wirken schon bei halber Dosis, was mein Hausarzt oft ungläubig zur Kenntnis nahm.  Dann so ab 45 verschlechterte sich zusehends die Kraft und Ausdauer des rechtes Bein (Arzt „altersbedingt“). Es kam zu häufigen Stürzen ohne triftigen Grund. Das Treppensteigen machte mir immer mehr Probleme, ohne Geländer, an dem ich mich raufziehen oder abstützen konnte, ging es nicht mehr. Immer häufiger benutzte ich meine Krücken.

Immer wieder kam es zu so starken Erschöpfungszuständen, dass ich mich sofort hinlegen musste. Nach einer bis manchmal drei Stunden Pause konnte ich meiner Arbeit wieder nachgehen.

Im Herbst und Winter leide ich unter einer hohen Kälteintoleranz. Für längere Gehstrecken benütze ich inzwischen einen Rollstuhl mit E-Motion Antrieb.


Von Frank-Peter Leibfritz, 67 Jahre

Im Frühjahr 1959, kurz nach der Einschulung in die 1. Klasse, trat ich in einen rostigen Nagel. Meine Mutter brachte mich zum damaligen Landarzt. Der versorgte die Wunde und empfahl eine Impfung gegen Tetanus und Wundstarrkrampf. „Und dann nehmen wir die Impfung gegen die Kinderlähmung (…keine Schluckimpfung) auch gleich mit“, sagte er. Gesagt getan.

Etwa 5-6 Tage später, ich weiß es nicht mehr so genau, bin ich an Kinderlähmung (Polio-Encephalo-Myelitis) erkrankt. Ich kam nach Tübingen in die Kinderklinik auf die sogenannte „Station Box“ (Isolierstation). Zuerst waren meine Arme, die Schulter und der Brustbereich betroffen, kurze Zeit später auch Rücken, Becken und Oberschenkel. Ich konnte zeitweise meine Arme nicht mehr bewegen, nicht mehr gehen und an der Eisernen Lunge bin ich gerade so vorbeigeschlittert.

Nach Monaten in der Kinderklinik und einem längeren Kuraufenthalt im Haus am Sommerberg in Bad Wildbad konnte ich am täglichen Leben wieder teilnehmen. Ich konnte wieder normal gehen, meine Arme benutzen, gut durchatmen und so auch wieder am Schulunterricht teilnehmen. Das Versäumte hat mir ein freundlicher Lehrer in nachmittäglichen Nachhilfestunden beigebracht, so dass ich auch weiter versetzt werden konnte.

Erste Folgeerscheinungen der Polio zeigten sich bei mir dann in der weiteren Wachstumsphase. Mit 15 Jahren hatte sich meine Wirbelsäule durch eine Lähmungsskoliose so verkrümmt, dass der Hausarzt dringend zu einer Operation riet, weil ich sonst, bei fortschreitender Verkrümmung, zu ersticken drohte.

In einer Spezialklink der Wernerschen-Anstalten in Ludwigsburg wurde meine Wirbelsäule über einen Zeitraum von ca. 1 ½ Jahren in Quartalsabschnitten immer wieder gestreckt und mit einem Gips-Korsett stabilisiert und zum Schluss operativ fixiert. Dabei bin ich in dieser Zeit 15 cm gewachsen. Leider betraf die Fixierung nur die Brustwirbelsäule; Lenden- und Halswirbelsäule, die damals unproblematisch waren, blieben flexibel, sind heute durch das Fehlen der stützenden Muskulatur stark verkrümmt und mit Arthrose behaftet.

Wenn ich damals schon gewusst hätte, was ich heute weiß und was auf mich zukommt, hätte ich sicher vieles anders gemacht. Die Ärzte aber sagten, dass ich jetzt gut aufgestellt sei und damit alles in Ordnung wäre. Als sorgloser junger Bursche habe ich es dabei bewenden lassen. Ich habe eine Lehre zum Mechaniker gemacht („Kaufmann ist nichts für dich“, sagte der Hausarzt, „du brauchst einen Handwerksberuf, damit deine Muskulatur beansprucht wird!“).

Nach der Lehre bin ich noch einige Zeit im gelernten Beruf geblieben und bin dann doch in den kaufmännischen Bereich gewechselt. Ich habe aktive und sorglose Jahre durchlebt. Dazu gehörte regelmäßiger Sport, Radfahren, Skifahren, Langlaufen und Fechten. Ich gründete in der Zeit auch eine Familie, hab ein Haus gebaut und einen relativ großen Garten angelegt, dessen Pflege mir heute leider immer schwerer fällt.

Im Alter von ca. 35 Jahren kamen die ersten Beschwerden nach körperlicher Anstrengung. Ich hatte muskuläre Schmerzen, die sich zunächst anfühlten wie Muskelkater, nur länger anhielten und es entwickelten sich im weiteren Verlauf Muskelverspannungen, die sich nur mit Spritzen wieder lösen ließen. Den vermeintlichen Muskelkater behandelte ich selbst mit Auflegen von Wärmflaschen und Salben, die die Durchblutung in der Muskulatur anregten. Mein Arzt hat mir Krankengymnastik, Manuelle Therapie und Wärmebehandlung verordnet. Dass es jetzt an der Zeit wäre, mit allem etwas kürzer zu treten, hat mir aus der Fachwelt damals noch keiner gesagt.

Zwei Jahre später musste ich mich einer weiteren Operation unter Vollnarkose unterziehen. Nachdem dies überstanden war, ging es mir eine ganze Zeitlang körperlich nicht so gut. Ich kam schneller an meine Grenzen, an denen die Muskeln zu schmerzen begannen. Ich war immer wieder geistig nicht bei der Sache und konnte mich nicht konzentrieren. Das hat sich nach einiger Zeit wieder gebessert und ich habe da weitergemacht, wo ich aufgehört habe – Sport, Bergwandern kam hinzu und natürlich meine geliebte Gartenarbeit.

Im Laufe meiner 40er Jahre häuften sich die muskulären Beschwerden und hielten auch länger an. Zum Teil brauchte ich 2 oder 3 Tage zur Regenerierung. Die verordnete Krankengymnastik kam auch an ihre Grenzen, einzig die Wärmebehandlung brachte Linderung.

In dieser Zeit habe ich mich plötzlich wieder an die durchlebte Kinderlähmung erinnert. Ich ging ins Internet, hab recherchiert und bin fündig geworden. Zum ersten Mal habe ich vom Post Polio Syndrom gelesen und war mehr als erstaunt, zum einen, weil ich immer noch dachte, das Thema Polio hätte ich längst hinter mir und zum anderen, weil ich von Symptomen las, die zum großen Teil bei mir zutrafen.

Ungewohnte frühzeitige Erschöpfung, Muskelschmerzen, weniger Kraft zum Durchhalten bei der Arbeit, Kälteintoleranz hauptsächlich in Händen und Füßen, Konzentrationsstörungen, Darmstörungen – 2004, nach einer Darmspiegelung, wurde eine Colitis Ulcerosa (Chronisch entzündlicher Dickdarm) diagnostiziert, dazu kamen gelegentlich Schluckstörungen und eine respiratorische Lungeninsuffizienz durch den Ausfall von Teilen meiner Atemmuskulatur.

Da normale Krankengymnastik und Manuelle Therapie inzwischen mehr schadeten als dass sie halfen, habe ich mich im Netz nach Alternativen umgeschaut, die meinem Krankheitsbild eher entsprachen und auch in der Nähe durchgeführt werden konnten. Heraus kam, nach Rücksprache mit meinem Arzt, die Physiotherapie nach Vojta zur Unterstützung des motorischen Nervensystems und eine Reflektorische Atem-Therapie zur gezielten Unterstützung der Brust- und Atemmuskulatur. Außerdem gehe ich inzwischen regelmäßig zur Osteopathie, um auch den ganzen Körper im Blick zu behalten.

Bei meinen Recherchen zum Post-Polio-Syndrom habe ich erleichtert festgestellt, dass es noch vielen anderen Menschen genauso oder zumindest so ähnlich wie mir erging und dass es Verbände wie die Deutsche Gesellschaft für Muskelerkrankungen (DGM) oder die Polio Initiative Europa (PIE) gab, die sich um das Thema kümmerten und auf deren Internetseiten man viel wertvolle Informationen bekam. Unter anderem auch die Kontaktdaten zu regionalen Selbsthilfegruppen, wie zum Beispiel der Post Polio Selbsthilfegruppe Reutlingen/Tübingen.

Am Anfang stand ich der Selbsthilfegruppe etwas skeptisch gegenüber, wollte ich doch, da ich ja vermeintlich mitten im Leben stand, nicht immer von Krankheit umgeben sein. Mir war zu dieser Zeit immer noch nicht so richtig klar, dass es kein Zurück zu mehr Gesundheit gab, sondern nur ein Vorwärts, um das Beste aus der fortschreitenden Situation zu machen.

Heute ist die Selbsthilfegruppe für mich nicht mehr wegzudenken. Der laufende Kontakt und die monatlichen Treffen (…sobald man sich wieder treffen darf) sind für mich ein wichtiger Bestandteil für den Umgang mit dem Post-Polio-Syndrom. Da sich immer weniger Ärzte mit den Themen Polio oder gar Post-Polio auskennen, ist es für uns elementar wichtig unsere eigenen Erfahrungen auszutauschen.